Mantua liegt im Chiemgau
Kritik von W. Janka anlässlich der Opernpremiere
Die Scaliger, die das Renaissance-Schloss Amerang umgebaut haben, kamen aus Verona. Das liegt nicht weit von Mantua, in der Verdis Oper "Rigoletto" spielt. Dass also Mantua - zumindest kurzfristig - im Chiemgau liegt, ist stimmig. Was vor einem Jahr mit Mozarts "Zauberflöte" als Experiment begann, ist zu einer Opern-Reihe geworden. Die "Oper im Berg" aus Salzburg mit seinem Intendanten Ingo Kolonerics macht sich im Arkadenhof von Amerang heimisch. Verdis "La Traviata", Puccinis "Tosca" und Mozarts "Zauberflöte" folgen noch.
Bespielt wird nicht nur die Bühne, sondern der gesamte Arkadenhof: Das riesig hohe Bühnenbild (Hendrik Müller) führt perspektivisch auf Mantuas Piazza Andrea Mantegna. Von hinten schleicht sich der Mörder Sparafucile heran, von rechts tänzelt der Herzog trällernd auf die Bühne und verschwindet am Ende im Treppenhaus, aus den Fenstern beobachten Rigoletto und seine Tochter das Liebesgetändel des Herzogs mit Maddalena, der Ungewitter-Summ-Chor tönt aus den Kellertiefen. Das immerhin fünfzehnköpfige Orchester sitzt vor der Bühne und verteilt sich bis in die ersten Arkaden.
Ingo Kolonerics inszeniert die Geschichte mit dem buckligen Narr Rigoletto, dessen heißgeliebte Tochter Gilda vom Herzog verführt wird, sehr gradlinig ohne interpretatorische und psychologisierende Verkrampfungen. Trotzdem hätte er die Vater-Affenliebe noch stärker akzentuieren können. Und die im Dunkel spielenden Szenen konnten nicht dunkel genug gemacht werden. Aber die Hauptrolle spielt hier ja Verdis eh schon psychologisch strukturierte Musik. Und da wird es spannend: Weil die Zuschauer so nah am und auch im Geschehen sitzen, sind sie integriert als Festgäste am herzoglichen Hof oder als anteilnehmende Beobachter. Und die akustische Nähe macht diese Musik körperlich erfahrbar, seelisch fast aggressiv sich in die Ohren bohrend.
Blieb der junge Dirigent Waku Nakazawa anfangs noch akkurat-brav, steigerten er und das kleine Orchester sich immer mehr und ließen die orchestrale Raffinesse und die dramatische Sinnhaftigkeit dieser Opernmusik aufstrahlen, die "Caro-nome"-Arie begleiteten sie geradezu zärtlich.
So durften die Sänger sich gehörig in Szene setzen: Graf Monterone (Isik Belen) und der Mörder Sparafucile (Krzysztof Borysiewicz) drohten mit abgrundtief dunklen Bässen, Maddalena (Natsumi Utchi) lockte erotisch-lodernd. Als leichtfertig-herzoglicher Lover brillierte Chulhyun Kim mit kräftigem, aber auch beweglichem Schmettertenor und sicher attackierter Höhe. Rigoletto selbst schien schon gebrochen: So brüchig klang sein Bass (Patricio Cueto), was er durch intensives Spiel wettzumachen versuchte. Umso strahlender stellte sich dafür die junge und hübsche Dilay Girgin in den Mittelpunkt, die schon im vorigen Jahr als Königin der Nacht glänzte: Ihr mädchenhaft heller Sopran hat ein schnelles Vibrato, das wie der Flügelschlag eines Vögelchens wirkt und Lebens- und Liebessehnsucht ausstrahlt. Damit stemmt sie sich gegen ihren "glasmusikalischen Käfig" (so Ulrich Schreiber in seinem Buch "Kunst der Oper"), in dem ihr besorgter Vater Rigoletto sie einsperrt, und behauptet ihre Lust am Leben auch noch am Schluss, als sie - ein guter Regieeinfall - als schon tote Seele im weißen Hemd vorüberschwebt, von ätherischen Klängen getragen: Das Leben besiegt singend den Tod.
Das Publikum im gut gefüllten Schlosshof sah dies auch so und überschüttet die junge Sängerin und auch alle übrigen Mitwirkenden mit tosendem Beifall.